Von Sackgassenbetten und bretonischen Frühstücksorakeln | #radlantix

Genau betrachtet ist es nicht das erste Mal während dieser Reise, dass es mich hinaustreibt auf eine Landzunge. Hüte dich vor Sackgassen, vor Wegen, die auf Klippen zuführen, du Lemming, hüte dich vor Endendem, denn Endendes trägst du in dir selbst genug.

Inseln machen mir Angst. Große, weite, bewuchsfreie Landschaften machten mir Jahrzehnte des Reisens zu schaffen. Nur mit sehr beklommenem Gefühl konnte ich sie durchqueren. Nun sind es die Landzungen, die im unendlichen Atlantik enden. Noch vor anderthalb Wochen saß ich eine halbe Nacht fest beim Fort Énet, ein Opfer der Tücken der Tide.

Ozeanische Luft durch gekipptes Fenster. Die französische Bettmachmethode ist gewöhnungsbedürftig. In der Nacht habe ich mit der Bettdecke gekämpft, die ringsum unter die Matratze gestopft ist und in die man von oben hinein schlüpfen muss wie in eine Schublade. Mein Dormitorium, eine Sackgasse. Ha! Dabei hätte ich abends noch die Möglichkeit gehabt, zu intervenieren, als Monique, meine Vermieterin vor meinen Augen geschwind das Zimmerchen vorbereitete, sprich das Bett in französischer Manier bezog. Aber sie legte eine derartige Sorgfalt an den Tag, dass ich es nicht wagte, meine teutotischen Wühlbettgewohnheiten zu äußern. Ich glaube, in Frankreich gibt es einen Begriff dafür, wie die Menschen im Norden ihre Betten beziehen, erinnere mich leider nicht, aber für Franzosen ist es so ungewohnt, der Bettdecke alle Freiheit der Welt zu gönnen und sie einfach so gefaltet obenauf zu legen, wie es für uns ungewohnt ist, sie in drei Schichten mit Betttuch und Decke und noch einem Betttuch unter die Matratze zu klemmen.

Draußen nur Dunst. Der Tag soll schön werden. Der Ostwind, der mich hierher verbannt hat soll abflauen und drehen. Das Frühstück gerät geradezu englisch: Gebratenes, Spiegelei, Bohnen, Pilze, Speck, dazu Orangensaft. Man merkt, dass man hier auf Touristen von der Insel eingestellt ist und stellt zur Wahl, ob man lieber kontinental oder britisch frühstücken möchte. Herrlich. Ist das vielleicht ein Fingerzeig, dass ich die Reise doch nicht in Roscoff beenden soll? Die Vélodyssée ist ja nur der französische Abschnitt des Atlantik-Radwegs, der vom Nordkap an die Algarve führt. 1200 Kilometer von vielleicht Fünf-, Sechs- oder Siebentausend. Ha!, Herr Irgendlink, Kunstbübchen, Europenner, das sieht dir ähnlich, das bretonische Frühstücksorakel heranzuziehen für das Weiterführen deiner Reise.

Gefüllt mit Ei und Speck und Bohnen und Orangensaft gehts los, zurück nach Huelgoat, wo mein Zelt auf dem Campingplatz – hoffentlich nicht vom Sturm niedergerissen wurde. Zelte ohne Zeltende sind sturmanfälliger als mit Zeltenden. Zeltende ohne umstürmtem Zelt mit Hotelzimmer schlafen besser als Zeltende in umstürmten Zelten (auch wenn sie in französischen Sackgassenbetten schlafen müssen) :-).

Durchtriebener, tollkühner, hassardierender Herr Irgendlink, Naseweis schlägt natürlich erst einmal die falsche Richtung ein. Die Logik ist klar: Noch bläst der Wind streng aus Osten, soll aber gegen Mittag drehen und dann kann ich ja noch eben schnell nach Landerneau radeln, ein Baguette, ein Éclair und ein Stück Pizza kaufen und mir die Brückenhäuser anschauen, die mir Monique, meine Wirtin, als Sehenswürdigkeit empfohlen hat. Wie sie ohnehin von der Bucht, in die der Élorn mündet schwärmte, vom Meer, Höhlen, Klippen und Stränden. Hier komme ich nie wieder weg. Die Bretagne ist gar kein Landsend, keine Sackgasse, sie ist ein Labyrinth, in dem sich auf engstem Raum und in gewundenen Pfaden, eine hohe Zahl an Sehenswertem konzentriert. Werde ich je zurückfinden?

Die Brückenhäuser in Landerneau sind wirklich sehenswert. Schwere, aus Granit gebaute, mit Schiefer verkleidete klobige Kästen, die grazil einswerden mit der Brücke, die über ein rauschendes Wehr verläuft. Das Millau des Nordens, das Bad Kreuznach der Bretagne (beides Städte, wo ich ähnliche Bauten sah).

Gegen Mittag mache ich mich auf den Rückweg, will schließlich nicht noch eine weitere Nacht hier auf dem Zipfel verbringen und Gefahr laufen, für immer im Labyrinth allen Sehenswerten verloren zu gehen. Folge dem Élorn, der mit etwa 50 Kilometern ähnlich lang ist wie der heimische Schwarzbach. Schon habe ich eine Art Contwig durchquert, radele durch Stambach und Dellfeld immer weiter weiter weiter in einen imaginären Pfälzer Wald, verlasse das Tal beim Bois de Kerfaven, ahnend um all die Mythen, die darin versteckt sind. Aufwärts zum ehemaligen Armorikanischen Massiv et voilà, Camping am frühen Abend. Man hatte mich schon vermisst, aber zum Glück keine Rettungsaktion ausgelöst. Pizza zum Zelt. Rotwein. Im Wissen ums Labyrinth und dessen Unendlichkeit auf kleinstem Raum den Abend verbringen.

Die Möglichkeiten wie die Tour weitergeht, scheinen mir fast ebenso unendlich. Zu den üblichen drei Möglichkeiten, vorwärts, rückwärts und stehenbleiben gesellen sich an diesem Abend eine Unzahl abstrakter Chancen und Richtungen. Man könnte sagen, ich bin tatsächlich frei, nachdem ich zwei Tage mit dem Ankou, dem personifizierten Tod auf dem Gepäckträger unterwegs war.

Wie der Herr Irgendlink den Ankou auf dem Gepäckträger beherbergte | #radlantix

Reisewarnungen per Kommentarstrang. Ich betreibe mein eigenes kleines, Auswärtiges Amt. Im Dialog des Blogs kamen schon immer hilfreiche Tipps, manchmal zu spät, weil der zwar langsam, aber unaufhaltsam Reisende schon am Ankerpunkt des Tipps vorbei geradelt war. Dann findet man im Zeitdokument, das ein Blog wie dieses darstellt, nur einen Hinweis für die Nachfolgenden.

„Hüte Dich vor Ankou“, dem Tod. Als Skelett oder zerfledderter Geist treibt er sich durch die windumzausten Hohlwege der Bretagne, sagt die Legende und wem er begegnet, den nimmt er mit. Der Ankou ist der personifizierte Tod.

Eine Unaufhaltsamkeitsmaschine; der Atem der Lokomotive nach Jethro Tull; Throwing Time Away, wie es uns Pere Ubu in Wasted besingt; nimm es wie du willst, am Ende wird immer zu wenig Zeit sein und du kannst nur noch zuschauen, wie sich Ereignis auf Ereignis legt, schneller und schneller und schneller, während du träge, stoisch, versuchst deinen mühlenhaften Rhythmus aufrecht zu erhalten – warum?  – weil dein Inneres es dir gebietet, weil du nicht anders kannst, weil das das Leben ist. Das Leben folgt immer einem Takt und wohl dem, dem es gelingt, zu Lebzeiten den Takt zu erkennen und seinen Schwingungen zu folgen. Es nennt sich Harmonie. Friede. Einswerden.

Vielleicht ist das etwas gefühlsduselig?

Ich verlasse Huelgoat über die Rue Géneral-de-Gaulle westwärts, aufwärts, aufwärts, aufwärts, könnte man meinen, ist aber nicht so. Die Gegend ist im Prinzip flach. Ich weiß jedoch, dass hier einst ein gigantisches Gebirge gewesen sein muss. Das Armorikanische Massiv. Kaum eine halbe Milliarde Jahre ist das her. Nun durchradele ich Felder und ab-und-zue Wäldchen, passiere einsame Gehöfte und zerfallende, bruchsteinerne Etwasse. Die Wolken hängen tief. Grauschwarze, fette Luftmassen treiben vor mir her. Der Wind, aus Nordosten ausnahmsweise, statt gegen mich, starkt auf. Keine Ahnung, ob ich aufwärts radele. Ich fliege nur so dahin. Kein Gepäck am Rad. Das Zelt bleibt heute auf dem Campingplatz Huelgoat und ich ruhe mich ein wenig aus und da ich wundernasig bin, was die vielen Kirchen und die tausend Zusatzheiligen betrifft, von denen mein Blogkollege Herr Ackerbau in diesem Bericht (dringende Leseempfehlung, viele Bilder) schreibt, steuere ich ein paar der Orte an, die er erwähnt. La Martyre ist mein Ziel, dreißig Kilometer in Richtung Brest und am Nachmittag werde ich mir eine Pizza zum Zeltplatz bestellen und eine Flasche Rotwein. So mein Plan, doch es kommt anders.

In seinem Blogartikel schreibt Herr Ackerbau über die vielen in Stein gemeißelten Figuren und oft bizarren, Rätsel aufgebenden, Darstellungen an den mächtigen Gemäuern der Kirchen. Es ist köstlich zu lesen, und ich glaube, ja, Herr Ackerbau hat recht, wenn er sagt, die Geschichte der bretonischen Kirchenkunst muss wohl neu geschrieben werden.

Das Verrinnen der Zeit kennt immer einen Rhythmus. Nur selten erkennt man ihn. Und vielleicht ist das dann der personifizierte Tod, den man im Mittelalter noch gerne als schlichtes, furchteinflößendes Skelett darstellte. Heuer ist er abstrakter geworden. Unser Gespür für ihn ist feiner, aber vielleicht täuscht mich das und es ist ja sowieso immer mit Argwohn zu betrachten, was an Überliefertem vorliegt, denn es kann immer nur die Spitze eines Eisbergs an tatsächlich Gewesenem sein. Nicht Verwitterbares wie der Granit, aus dem die bizarren Kirchen dieser Gegend gemacht sind. Und in diesem Granit die Botschaften derer, die dafür bezahlt haben, was dargestellt und somit überliefert wird. Jaja, auf humorige Weise zeigt der Artikel von Herrn Ackerbau, wie sehr die Überlieferung abhängt von den Geschmäcken ihrer Auftraggeber.

Zum Glück oder zum Leidwesen können wir den Ankou auch ohne Überlieferung erkennen und ihm begegnen, jeder auf seine Weise.

Zehn Uhr früh, Rheinhessen, südlich von Mainz irgendwo, leichter Nieselregen, ein Tag im März 2017. Die Richtung der Reise ist ganz klar vorgegeben, südwärts auf der Rheinland-Pfalz-Radroute immer am Rhein entlang. Nur noch drei Tage bis nach Hause und ich werde mein erstes Projekt der Blogserie #UmsLand vollendet haben. Das Telefon klingelt. Die Schwester. Der Vater liege im Sterben. Zack. Der Ankou steht vor mir in Form eines schlichten Telefonanrufs. Mehr noch, er setzt sich zu mir in den Sattel. Radelt mit mir. Ich trete mächtig rein auf den feinen, nassen, von Weinbergslehm verschmutzten Radwegen, weiß nicht, was mich geritten hat, aber zurück nach Mainz will ich nicht, um mich dort in den Zug zu setzen und nach Hause zu fahren, peile stattdessen Ludwigshafen an, von wo eine direkte Linie bis in die Saarpfalz führt und überhaupt, ich muss die Botschaft erst einmal sacken lassen. Rheinland-Pfalt-Takt. Stündliche Linien von Wo nach Wo. Der Atem der Lokomotive. Ich eine Maschine. Nichts denkt mehr. Nichts fühlt. Der Ankou unsichtbar irgendwo auf dem Gepäckträger. Eine Last? Nein, keine Last. Was da ist ist immer schon da, war immer schon schwer, war niemals weg, auch wenn man es vergisst oder verdrängt.

Salz auf den Lippen. Ich befinde mich auf einem Zipfel im Atlantik. Der Col de Trévezel mit seinen 344 Metern Höhe ist eigentlich kein richtiger Gebirgspass. Gerade mal 25 Kilometer entfernt vom Atlantik, der den Fetzen Land rings um die Großstadt Brest umtost, hat man aber einen wunderbaren Blick nach Westen. Wenn es denn die Bewölkung zulässt. Gegen Mittag lässt der Regen nach und ich pausiere vor der Kirche von Commana, dann weiter bis zur Eglise Saint Mélar in Locmélar, pausiere vor der knallroten Pforte, spüre, dass mit dem Wind etwas nicht stimmt, bloß was? Egal, ich schmatze ein Éclair und nehme einen Coffee to go, den ich im örtlichen Café ergattert habe. Die Darstellungen an den bretonischen Kirchen sind tatsächlich bizarr. Man kann sie lesen wie ein Buch. Nicht etwa ein normal verständliches Buch der Trivialliteratur, natürlich, eher so etwas wie Naked Lunch, eben etwas, was man nur erkennen kann, wenn man nicht versucht, es zu verstehen und sich dadurch unter Druck setzt und genau das Gegenteil erreicht.

Der heilige Melorius, dem die Kirche (vermutlich) geweiht ist, gehört mehr der frommen Sage, denn der Geschichte an. Eine der Statuen in der Kirche zeigt jedenfalls den heiligen Melar, dessen schreckliches Schicksal mich berührt: Man hatte ihm die rechte Hand und den linken Fuß amputiert und so musste er sein Leben in einem Kloster fristen, immerhin mit silbernen Prothesen bestückt.

Vom personifizierten Tod über geschundene Heilige durch prächtige Kirchbauten und verwunschene bretonische Orte führt meine, eigentlich als Ruhetag geplante Radeltour und erst spät wird mir bewusst, was mit diesem Tag nicht stimmt: alles geht zu leicht und das liegt nicht am Gepäck. In La Martyre, dem eigentlich geplanten Umkehrpunkt erkenne ich endlich: Ich habe Rückenwind. Ach was, Rückensturm! La Martyre hält eine weitere grausame Heiligengeschichte der nie enden wollenden bretonischen Legenden bereit, die ich hier ausspare. Vielmehr muss ich gerade ans Nordkap denken und jenen Tag, an dem ich mir sagte, am Abend werde ich in Olderfjord übernachten. Die Stadt Havoysund verlassend, scheinbar gemütliche 70 Kilometer Fjordstraße vor mir, doch die erste Biegung um eine Bergkuppe zeigte, das wird nichts, knallharter Gegenwind, achwas, Sturm. Zwei Tage kroch ich im ersten bis dritten Gang durch Gegend ohne Orte.

So auch hier. Zwar sind die Orte hier dicht gesät, aber ich brauche es gar nicht versuchen, mich gegen den Wind zu stemmen. Der Rückweg geriete zum Martyrium.

Was bleibt dem modernen Radreiseheiligen? Sich freikaufen! Im Dorf die Leute fragen, ob es Unterkünfte gibt, eine Auberge? Hotel? Bed and Breakfast? Nichts. Den Zug nehmen? Es gibt eine Bahnverbindung von Brest nach Morlaix. Trotzdem müsste ich noch zwanzig Kilometer quer zum Wind radeln bis Huelgoat.

Schon sehe ich mich schlotternd im Windfang der Kirche frösteln oder über die garstig windumtoste Landstraße bei bissigem Nieselregen mit Schrittgeschwindigkeit hinaufkeuchen zum Col de Trévezel. Luftlinie nur zwanzig Kilometer.

Halb sechs. Die Wetterapp sagt Regen, Windgeschwindigkeit 51 km/h, Nordost bis Ost. Der Totengräber des Dorfes auf dem Weg in den Feierabend gibt mir schließlich einen entscheidenden Tipp: Im Nachbardorf in La-Roche-Maurice gibt es Zimmer. Eine Auberge in einer Mühle, die seiner Schwägerin gehört und schon zückt er das Handy und ruft für mich an und ja, sie habe etwas frei. Ein Engel im Gewand des Begräbnismeisters, fünf Kilometer und praller Wind, der mich vor sich hertreibt. Der Ankou vielleicht in Gestalt von Wind. Unsichtbare Kraft, die dir die Chance nimmt zur Umkehr, aber hatte denn je ein Mensch die Chance der Umkehr auf seinem Weg durchs Leben?

Nachtrag 23. 5. 2020 – ursprünglicher Titel (und Thema) ‚Diesseits und jenseits der Monts d’Arrée‘. (Ein Hinweis, eine Idee, die Gegend irgendwann einmal in ‚echt‘ zu schauen.

Rückengymnastik auf die bretonische Art | #radlantix

Wieder ein Tag älter und gut achtzig Kilometer weiter nordwärts auf der Vélodyssée habe ich mich gestern auf dem Campingplatz von Huelgoat einquartiert.

Die Nacht beim Croix du Breuil blieb ruhig, abgesehen von ein paar Wildtieren, die durchs Gehölz raschelten, aber ich konnte abends die Mystik-Hysterien zum Glück ad acta legen und schlief durch bis zur Dämmerung. Kein Nebel, aber bewölkt. Nieselregen lässt gegen zehn Uhr nach und ich kam in Saint Aignan wieder auf die Kanalradoute.

Ich glaube, einen besser ausgeschilderten und spannenderen Fernradweg habe ich noch nicht erlebt. Die Vélodyssée in ihrer Gesamtheit ist ein echtes Zuckerstückchen, aber der Abschnitt seit Nantes lässt Fahrradfernfahrträume wahr werden. Fast ausschließlich fern der Straße führt die Strecke auf den alten Treidelpfaden. Jeder Ort hat einen bezahlbaren Campingplatz. Reife Boulangerien hängen an den Bäumen und gebratene Supermärkte fliegen einem in den offenen Mund … ich scherze … ach was, es ist die Euphorie. War der südliche Vélodyssée-Abschnitt noch durchsetzt mit den Störgeräuschen atlantischen Strandtourismus‘ (recht voll und recht teuer), ist der Weg durch die Bretagne uns Tourenradlern wie auf den Leib geschnitten.

Beim Stausee Guerlédan führt die Route abseits des Kanals für einige Kilometer über ruhige Straßen und einen Bahntrassenradweg, um vor Carhaix zum Kanal zurückzukehren. Ab Carhaix folge ich einer ehemaligen Bahntrasse. Die Gegend ist hügliger. Landwirtschaft und Wälder im Wechsel, alte Chateaus aus grauen Steinen und in jedem Dorf eine wuchtige, reichlich verzierte Kirche. Bizarre Bauwerke von großer Schönheit und auch die kleinen Häuschen aus den Bruchsteinen der Felsen dieser Gegend sind schön anzusehen.

Ich befinde mich in einer geologisch uralten Gegend auf den Überresten des Armorikanischen Massivs. Die Gesteine, die hier zu Tage treten, sind älter als jedes Leben. Überbleibsel aus der vorkambrischen Zeit, wenn ich dem als überarbeitungsbedürftig gekennzeichneten Wikipediaartikel glauben schenken darf.

Aber was interessiert es schon den Schöngegend-Radler, was vor einer halben Milliarde Jahren hier geschehen ist. Ich erfreue mich an der abwechslungsreichen Gegend. Neben den von Menschen erzeugten Sehenswürdigkeiten und Landschaftsgestaltungen, gibt es zahlreiche Höhlen und Felsen, Schluchten und kleine Bäche. Urwüchsige Bäume und – hatte ich es schon erwähnt – Kirchen, Kirchen Kirchen und Mühlen, Mühlen, Mühlen.

Huelgoat war als ein Muss auf meiner Tour eingeplant. Schon von Anfang an, als ich mir im Jahr 2017 die Internetseiten der Gegend anschaute. Der Roche Tremblante war ausschlaggebend für den kleinen Abzweig von der Vélodyssée. Haltet mich für verspielt, aber ich finde Kleinodien wie den 137 Tonnen schweren Felsen einfach faszinierend. Nicht, dass es daheim in der Pfalz nicht genug Felsen gäbe, aber der Name des Roches Tremblante ist Programm: ein Wackelstein. Ein einzelner, kräftiger Mensch kann das Ungetüm tatsächlich bewegen, wie man in diesem Video sehen kann.

Somit war meine erste Amtshandlung, nachdem ich gestern Abend das Zelt aufgebaut hatte, ein Feierabendspaziergang zum Felsen. Man soll sich ja entspannen nach dem Radafahren und Dehnübungen und Gymnastik machen. Sozusagen Rückengymnastik auf die bretonische Art.

Nun vor dem Zelt auf der Picknickbank in den kühlen Morgen schreibend. Ich werde einen Tag hierbleiben und eine Runde durch die Dörfer und zu den Kirchen drehen. Blogkollege Herr Ackerbau hat mir nämlich den Blick geschärft für die teils skurrile bretonische Kirchenkunst und die tausend Zusatzheiligen die man hier in der Gegend kennt.

Folge dem Weg dahin, bleib jung, Junge | #radlantix

Vom Campingplatz in Maiestroit führte die gestrige Etappe stets am Kanal Nantes-Brest. Wie ist das Land? Flach. Unterstreich’s mit einer schneidenden Handbewegung der flachen Hand wie einst Obelix in ‚Asterix bei den Schweizern‘. Wie ist das Land? Flach! Der kräftige Gallier verschlief die gesamte Strecke durch Helvetien und wurde von seinem treuen Freund an einem Seil auf einem Schlitten über Berg und Tal gezogen. Somit konnte er keine Aussage über das bereiste Land machen.

Gut, dass der Herr Irgendlink, moi même, sich höchst persönlich entlang des Kanalidylls nordwestwärts schuftet und mit Fug und Recht behaupten kann, das Land sei flach. 🙂

Die Schleusen liegen weit auseinander. Dem Fluss L’Oust folge ich über Le Roc-Saint-André, Josselin und Rohan bis Pontivy über schlängelnde, milde Kanalradwege. Vorbei an Fischteichen und ab-und-zuen Schleusen. Viele Angler an diesem hohen französischen (eigentlich weltweiten) Feiertag. Der 8. Mai 1945. Fast jede Stadt hat eine Straße dieses Namens. So auch das Städtchen Montaigu in der Vendé, wo einst mein ältester Freund wohnte. In der Straße des 8. Mai. Mann, Mann, Mann, was haben wir alles erlebt, wir per Erbe verkriegten Menschen, nicht nur in Deutschland und Frankreich, nicht nur in Europa, nein, weltweit. Mein Freund Steph und ich sind eigentlich ein Sinnbild der Versöhnung … nein, Versöhnung ist das falsche Wort, vielleicht sollte ich Enterbung sagen. Unsere unbedarfte Begegnung als Kinder ohne Vorlast. Das muss ich unseren Eltern hoch anrechnen, sie haben uns nie anmerken lassen, dass unsere Nationen einmal verfeindet waren. Solche Dinge wie Vorurteile und abfällige Bemerkungen über die andere Nation, die sich beim heimischen Kaffeekränzchen in Form von Witzen Raum schaffen mit dem anschließenden Vermerk, der Krieg ist lange vorbei (das ist er nicht bei derlei Kaffeekränzchen).

Steph und ich waren Feriennachbarn in einem kleinen Dorf in der Nordpfalz, wo seine Großeltern wohnten, die er in den langen französischen Sommerferien immer besuchte. Wir lernten uns kennen von Kind zu Kind und nicht von Mensch mit vererbtem Konflikt zu Mensch mit vererbtem Konflikt. Das ist ein Segen. So geschieht Heilung. Heilung, die nur über mehrere Generationen geschehen kann, vermute ich.

Manchmal wünsche ich mir meine Kindheitsunbeschwertheit zurück, dieses unbeschriebene Blatt ohne Wissen um all das Übel dieser Welt, das die Vorfahren angerichtet haben und die Vorfahren der Vorfahren und so weiter und so fort bis in alle Ewigkeit aller Vergangenheiten auf allen Planeten des Universums, auf denen auch nur irgendwas lebt und kraucht und denkt und Anderes bekämpft.

Man müsste eine Fotoserie machen hier am Kanal: Angler hockend vor Rute nebst Schirm, Rücken zum Fotografen. Die Stoik der Lauer vor sich lichtendem Nebel, der auf dem ruhigen Fluss und seinen kanalisierten Abschnitten schlingert.

Flusswechsel in Pontivy. Eine recht große Stadt. Der Oust mündet hier in den Blavet und der Kanal folgt dem Blavet nun aufwärts, nordwärts. In Pontivy löst sich gerade der feiertagliche Flohmarkt auf. Ich pausiere neben der Markthalle auf einem Mäuerchen, esse ein Stück Pizza, das ich in einer Boulangerie ergattert habe. Dazu Trinkjoghurt. Die Oberschenkel brennen. Viel zu schnell war ich unterwegs. Manchmal kann einen solch ein kanalisiserter Schönteer- Radweg wie in eine Trance versetzen und dann merkt man nicht, dass man müde wird, die Muskeln schmerzen, der Unterzucker von Innen heraus einen zu übermannen versucht. Erst, wenn es schon fast zu spät ist und man vom Rad zu fallen droht, kommt die Erschöpfung. Rasanter Schnitt mit 22 km/h, muss ich sagen.

Eine alte Frau spricht mich an. Woher, wohin und schon ergreift sie meine Hand. Zu spät begreife ich, dass sie mir hier einen Dienst erweisen will, die Zukunft aus der Hand lesen. In krudem Französisch oder Dialekt oder einem Sprachenmix redet sie, schaut abwechselnd auf die Hand, dann in den Himmel, Blick zur Sonne. Soweit ich verstehe, wird es düster und ich solle vorsichtig sein. Ein unheimlicher Moment, ich muss schon sagen. Aber hey, was erzählt man einem offenbar fremden, relativ zerlumpten Gegenüber, das nicht aus der Gegend kommt, ziemlich einsam wirkt und ein bisschen verloren auf einem sich auflösenden Flohmarkt picknickt? Man warnt ihn vor der Fremde, gibt ihm den Rat, gut auf sich aufzupassen, deutet verschwörerisch aufs Radel und zischt plötzlich, fast täuschend echt, als würde ein Reifen platzen.

Wieviele Legenden sind in dieser Gegend ansiedeln! Mit den nächtlichen Nebeln, die sich erstgegen Mittag auflösen, gibt es einen guten Nährboden, so rein von der Atmosphäre her, für Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Am Morgen war ich gar nicht weit weg vom Forêt de Brocéliande, in dem der Zauberer Merlin einst von Nimue, der Königin des Wassers, gebannt wurde. Seine Liebe war so groß, dass er den Bann freiwillig hin nahm, obwohl er ohne Weiteres den Bann hätte lösen können. Mit Merlin sind auch unweigerlich die Artussage und die Ritter der Tafelrunde in dem geheimnisvollen Wald verortet. Zahlreiche Dolmen und Steinkreise untermalen die Mystik der Gegend. Das womöglich nie Sattgefundene ist in Form der Legenden, Überlieferungen und zahlreichen Erzählvarianten noch immer lebendig und es lässt sich kaum klären, welche Teile der Geschichte tatsächlich passiert sind und welche sich als Phantasmen in die Realität geschlichen haben. Eigentlich verhält es sich mit dieser meiner Reise ja so ähnlich, denke ich.

Wenn du diesen Text liest, wirst du nicht wissen, ob sich diese Vélodyssée tatsächlich so ereignet hat, wie ich es hier beschreibe, ja, selbst ich, der ich diese Zeilen gerade schreibe, kann schon kaum noch erkennen, was wahr war und was nicht.

Meine gütige, unheimliche Handleserin dreht mir die Hand hin und her, will die andere Hand auch sehen und ich habe ein bisschen Sorge, dass sie mir nur in die Taschen greifen möchte, um mich zu beklauen, aber das Radlerhemd hat keine Taschen. Es ist das letzte Hemd des Überlebenden sozusagen. Also spiele ich das Spiel mit. An den Altersflecken ergötzt sie sich und erzählt mir die Geschichte von der ewigen Jugend, die einst den Menschen dieser Gegend gegeben war. Niemand alterte. Die jungen Leute lebten ein glückliches Leben ohne Krankheit und Gebrechen. Es muss das reine Paradies gewesen sein. Die Augen meiner Wahrsagerin beginnen zu leuchten, als sie mir die Bilder der Glücklichen malt, doch was wäre das Glück ohne das Unglück, das es bedroht. Die Jugend ohne das Altern, das sich irgendwann doch noch anschleicht, versteckt im Nebel. Hüte dich vor dem Nebel, sagt sie, er lässt dich altern. Wie auch die jungen Leute der Gegend, die ihr Glück einbüßten, als der Nebel übers Land kam. Niemand war dem gefeit. Wenn der Nebel kam, alterte man über Nacht. Nur ein einziger Ort bot Schutz: die Grotte de la jeunesse éternelle, die Höhle der ewigen Jugend. Dort versteckten sich die Menschen in den Nächten und in den tristen Wintermonaten. Ein Loch in der Höhle, durch das die Sonne fallen konnte, wenn der Nebel sich lichtete, diente ihnen als Indikator, ob sie es wagen konnten, ihr Gefängnis zu verlassen. Die Grotte de la jeunesse éternelle sei gar nicht weit entfernt, erklärt mir die Frau, beim Croix du Breuil. „Folge dem Weg dahin, bleib jung, Junge“, gibt sie mir mit und lässt die Hände los und verschwindet wie eine weibliche Catweazle, ohne auch nur einen Euro von mir verlangt zu haben.

Ich bin ja eine treue Seele und tue nicht nur immer das, was mir die Wanderwegeschilder sagen, sei der Weg auch noch so gewunden, beschwerlich, umwegig, ich tue auch immer das, was mir fremde, mystische Weiber auf 8. Mai-Märkten sagen, bemühe also die Landkarte im GPS. Das Croix du Breuil gibt es tatsächlich. Es liegt im Fôret de Quénécan, gar nicht weit abseits vom Kanalradweg.

Es ist schon fast 18 Uhr, als ich in der Nähe eines Weilers namens Boloré den Kanalweg verlasse und über schmale Sträßchen westwärts auf den Wald zu kurbele. Flaches Landwirtschaftsland. Kein Campingplatz verzeichnet. Ab und zu eine Gîte, aber ich will ja Höhle gucken, nur so aus Neugier und vielleicht befindet sich davor ja auch ein Picknick-Platz und eine Hütte. Die Wucht, die ich erwarte, mit der mich die Mystik des Waldes trifft, bleibt aus. Plötzlich eben ein Waldrand vor sanft steigendem Gelände, durchwachsen von Felsen. Wahrscheinlich verdankt der Fôret de Quénéca sein Überleben schlicht den vielen Felsen, die es unwirtschaftlich machten, ihn in Ackerland zu verwandeln, wie den Rest der Umgebung. Tatsächlich ist ein Chemin du Croix du Breuil ausgeschildert. Ich folge gelb-roten Wegmarkieren über einen gut fahrbaren Forstweg. Alter Laubwald. Spitze, greifende Äste wie Hexenfinger ragen in die teils hohlen Wegpassagen. Altes Laub. Dämmerung. Eine Meisterleistung selbst inszenierter Tourdramatik, muss ich mir eingestehen und es wird mir denn doch ein bisschen mulmig.

Wenn ich nur an die Romane von Fred Vargas denke, die genau solche Gegenden beschreibt und mit blutigen Serienmorden garniert. Die Abenddämmerung tut ihr Übriges. Geschmack von Feuchte und Dampf. Was ist das? Kommt da Nebel auf? Ein Teil in mir will umkehren und mich in einer Gîte einquartieren. Der Naseweis in mir aber drängt weiter weiter weiter, wenigstens bis zum Croix, bis zur Höhle der ewigen Jugend, so es sie denn gibt. Etwa anderthalb Kilometer windet sich der Waldweg bis zu dem Kreuz, das auf dem höchsten Punkt auf Felsen in den Himmel ragt. Eine kleine Lichtung. Eine Felsplatte. Keine Höhle in Sicht.

Müde bin ich, liege eine Weile auf den noch warmen Felsplatten. Schließlich baue ich das Zelt auf neben einer Felswand unweit des Kreuzes. Der übehängende Fels ist mir Andeutung von Höhle genug und es wird schon nicht so schlimm werden, hoffe ich. Es gab unheimlichere Lagerplätze und eigentlich ist es ganz schön hier und was kann mir schon anderes passieren, als morgen aufzuwachen und wieder einen Tag älter zu sein?

In Camping zwei Schnecken | #radlantix

Wie es beginnt, wie es weitergeht, wie es endet, das frage ich mich manchmal auf solch langen Reisen. Eine sehr unbequeme, beängstigende Frage, denn sie kratzt am Sinn und man kann dabei recht schnell in eine negative Rückkopplung verschiedener Sinnfragen kommen und im schlimmsten Fall in ein depressives Loch stürzen, in dem alles und jedes, was je fühlbar war, verschwindet und es bleibt nur noch dumpfe Leere. Plötzlich findet man sich wo, beziehungsweise, man befindet sich ohne greifbares Wo. Und man ist nirgends und will selbst dort nicht sein. Man will nicht weiter. Zurück geht auch nicht, was das Existieren, ich möchte diesen Zustand nicht Leben nennen, sehr unangenehm macht.

Vorm Zelt dichter Nebel. Das Dorf erwacht mit dem Geschepper eines Transportlasters, der Waren beim örtlichen Lebensmittelgeschäft abstellt. Das Geräusch von Schlüssel, unbeholfen kratzend im Schloss, das Klappen der Tür, die Hydraulik der Laderampe und das metallische, schwere Rollen des Hubwagens. Paletten voller Lebensmittel, Dinge des täglichen Bedarfs werden im Lager verstaut. Es beginnt, es fährt fort und es endet damit, dass der Motor angelassen wird und der Laster davon braust. Danach ist für eine Weile ruhe. Der Morgen dämmert. Licht fängt sich im Nebel, kommt darin um. Zwei Nacktschnecken kopulieren vorm Zelt, sehen aus wie ein rotbräunliches Jin und Jang, wie sie sich unendlich langsam winden. Es hat begonnen, sie setzen es fort und wenn ich nicht aufgepasst hätte beim Verlassen des Zelts, um in den nahen Bach zu pinkeln und auf sie draufgetreten wäre, hätte es vorzeitig geendet mit dem Jin und Jang Spiel zweier Schnecken am Kanal von Nantes nach Brest.

Ich liebe Nebel. Trotz seiner Zweischneidigkeit. Er dämpft und er schützt. Beim Wildzelten ist er selbst am helllichten Tag wie ein Tarnmantel und man würde sich trauen, das Zelt an Stellen aufzubauen, bei denen man bei normalen Lichtverhältnissen nie zelten würde. Vor vielen vielen Jahren zelteten wir einmal auf dem Rheindamm  bei Speyer, bauten abends auf einem feinen Wieschen auf der Krone neben einem Pfad auf. Um später von Hundegassigängern umwandert zu werden, die das Zelt im wirklich sehr sehr dichten Nebel erst wenige Meter vorher entdeckten. Eine gut getarnte Nacht im Gewohnheitsgewölbe der Anrainer.

Alles ist nass. Ich koche Kaffee. Der Dampf kann kaum entrinnen, so sehr drückt der Nebel aufs Zelt. Ein Ringen der Dämpfe um die Vorherrschaft. Nass Zusammenpacken ist angesagt an diesem Morgen. Hoffen auf Sonne irgendwann. Die Wetterapp sagt, dass es ab elf Uhr schön wird. Dann kann ich an einem der vielen Picknickplätze am Kanalradweg das Zelt ausbreiten und es trocknet binnen weniger Minuten.

Ich gebe zu, dass ich mich zwingen muss, zu radeln. Eine merkwürdige Lähmung hat mich befallen. Die Reise neigt sich bedrohlich dem Ende. Luftlinie Guenmouet bis Roscoff sind es noch etwa 200 Kilometer. Hinzu kommen die vielen Windungen des Kanals. Also schätzungsweise 300 Kilometer zu radeln. Vier Reisetage und Zack, Ende.

Das Leben ist schon ein merkwürdiges Vorkommnis. Seit über fünf Jahrzehnten bin ich schon auf diesem Planeten.  Was mache ich hier? Wozu ist das alles gut? Auf einem durchgelegenen Bett aus zum Glück meist guten Gefühlen surfe ich durchs All auf einem runden Klotz Materie, der sich um sich selbst dreht und um andere Himmelkörper. Blauer Ball, umschwirrt vom Mond, der übrigens heute voll ist. Rase mit tausenden Kilometern pro Stunde durchs Nichts und funktioniere in meinem Mikrokosmus und in meiner Gesellschaft in meiner Zeit. Die Sinnfrage zu stellen ist keine gute Idee. Sie bringt nur Verdruss. Auf Reisen wie auch auf dem Lebensweg. Es führt zu nichts, sich immer wieder mit eigentlich Unbeantwortbarem zu beschäftigen. An irgendeinem Punkt der Gedankenkette um den Sinn komme ich immer zu der Erkenntnis, dass ich nichts tue, als von einem Tag in den nächsten zu leben. Eine Pedalumdrehung folgt der nächsten und unter mir fliegt das Land von Gegend zu Gegend, gerade eben gestartet, vor einem halben Jahrhundert als ein aus dem Nichts entstandener Zellhaufen sehe ich schon dem Ende entgegen im Rosscoff des eigenen Lebenswegs.

In solchen Momenten hilft eigentlich nur, sich auf den Moment zu konzentrieren, versuchen, der nahen Umgebung etwas abzugewinnen. Eine Schleusenwand mit Graffiti besprayt, zwei Angler mit dreizehn Ruten, die sie auf zwanzig dreißig vierzig Metern verteilt aufgesteckt am Kanal drappiert haben. Und im Tief des Flusses erwachen die Fische, um endlich anzubeißen.

Vielleicht funktioniert mein Reisen metamorphosisch, sinniere ich. Ich erinnere mich an die ersten Tage in der anderen Reise. Das verpatzte Zweibrücken-Andorra 2020, das niemals stattgefunden hat, weil just in der Zeit, als ich starten wollte, die französische Grenze wegen der Pandemie dicht machte. Ich daheim fest saß, vom Bürostuhl aus Texte schrieb und meiner eigenen Spur der Reisen aus den Jahren 2000 und 2010 folgte. Das Irgendlink-Blog als Larven-Stadium des Radlantixblogs? Im Irgendlink-Blog verweben sich der Alltag eines Gefangenen der Pandemie, der nicht reisen darf mit den Erinnerungen an vergangene Reisen und dem Unvorstellbaren, das gerade in der Welt stattfindet. Quer durch Frankreich über den Mont Lozère und die Pyrenäen führt der Weg phantastisch mit Ausflügen ans Nordkap und nach Gibraltar, nach Island und nach Irland, Ausflüge in ein längst zerronnenes Künstler- und Schreiberleben, alles verzeichnet in dieser Karte mit orangenen Markern für die einzelnen Blogeinträge. Die Spur der Einträge verdichtet sich in Katalonien. Folgt nun einer klaren Linie ohne Ausflüge in die weite Welt. In kontinuierlichen Etappen von 70 Kilometern tönt das Blog mit täglichen Blogbeiträgen, in denen die Hinweise darauf, dass alles nur fingiert ist von Tag zu Tag weniger werden. Die Erste Reise hat sich verpuppt. Am Atlantik angelangt, verlässt das Insekt den Kokon und existiert fortan, als habe es die vorangegangenen Stadien nie gegeben. Mit Radlantix, diesem Blog ist mir aus Versehen das gelungen, was ich schon immer einmal ausprobieren wollte: eine Reise zu reisen, die niemals stattgefunden hat. In Echtzeit in Blogform.

Was hat denn gestern nicht stattgefunden? Nun, von Guenrouet folge ich dem Radweg entlang des Kanals via Redon. Kanalradeln ist Meditation. Oder Selbsthypnose. Es gäbe viel zu erzählen vom gestrigen Reisetag. Ich bin jedoch nicht in der Laune. Nach knapp 70 Kilometern quartiere ich mich auf dem Campingplatz in Malestroit ein. Maestroit sich an wie Guenrouet. Als habe es den Reisetag nie gegeben. Ich weiß, ich tue den beiden Orten unrecht. Auch das Städhcen Redon wäre erwähnenswert mit seiner Kanalkreuzung. Der Nantes Brest-Kanal quert den Fluss Vilaine. Assoziation: Digoin an der Loire. Auch dort gibt es eine spektakuläre Kanalkreuzung. Eine Kanalbrücke gar.

Es macht mich nicht glücklich, dem Ende der Reisde entgegen zu sehen. Ich habe ein paar Überlegungen, wie es weiter gehen könnte: Die Vélodyssée wie einst geplant zu Ende Reisen und von Roscoff via Paris nach Hause radeln, würde 14 weitere Tage bringen. Und am Ende stünde doch nur das Ende. Es böte sich aber auch an, dem Atlantikradweg nordwärts zu folgen. Auch diese Variante hätte irgendwann ein Ende, ich schätze, in ein zwei Monaten stünde ich am Nordkap. Einfach aufhören wäre auch möglich.

Oder … kann es eine zweite Metamorphose geben? Gibt es dafür Vorlagen in der Natur? Diese Option hatte ich im Irgendlink-Blog schon angesprochen: Ausstieg aus dem Ich-Getue des Reisendenblogs und in die Rolle eines fiktiven Protagonisten schlüpfen, der fortan eine völlig andere Geschichte schreibt. Ich halte das nicht für eine gute Idee. Wenn, dann nur im Stillschweigen, sozusagen als echter Autor, der schreibt wie alle anderen es tun, daheim im stillen Kämmerlein ohne groß ins Blog hinauszuposaunen: Hallo, heute, hier, in Camping zwei Schnecken.

Und Nebel und Tristesse. Und Endzeit. Und die blanke Angst davor, dass es endet wie so ein Menschenleben nach sechzig siebzig achtzig Jahren.

Dein Sterbebett ist ein garstiger Hafen in der bretonischen See. Eines Tages wirst du auf der Klippe sitzen und wissen, es ist so weit. In dir kollabiert ein Universum und du tust deinen letzten Atemzug. Das Licht geht aus. Nichts wird dann je existiert haben. Nicht für dich.

Je suis mude | #radlantix

Je suis mude. Ich bin so müüüde. Stadt ist Mühsal. Stadt ist Spannung. Stadt ist Marter. Stadt ist lieb. Mir steckt der Nantes-Artwalk und die Maschine noch in den Knochen, als ich gestern das Zelt zusammen räume und alle Lebensmittel, den Kocher und die Klamotten wieder komprimiere und mich auf den Radweg der Vélodyssée schwinge, der quasi direkt vor der Haustür des Campings vorbei führt. Ab Nantes wendet sich der Atlantikradweg ab vom Ozean. Die Route folgt dem Canal de Nantes à Brest quer durchs Land.

Schneid dem Land den Zipfel ab. Und das kam so: Durch die britische Seeblockade zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Schiffsverkehr und der Transport von Waren und Menschen an Frankreichs Atlantikküste zunehmend erschwert. Weshalb man den Kanal durchs Landesinnere initiierte. Die Wasserstraße folgt den Betten von sieben Flüssen und quert in Redon einen achten Fluss. Die Vilaine.

Im Prinzip war die etwa 350 Kilometer lange künstliche Wasserstraße ein Flop. Nur verhältnismäßig selten wurde sie genutzt und jährlich kaum um die 50.000 Tonnen Waren darauf transportiert. Schon kurz nach der Eröffnung machte die Eisenbahn als günstigeres und schnelleres Transportmittel Konkurrenz. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs endete die Ära des Kanals als Transportweg und seit einigen Jahrzehnten dient das Bauwerk nur noch touristischen und sportlichen Zwecken: Kanu fahren, radeln, angeln und hausbooten.

Ich bin froh, dass es den Kanal gibt. Kanalradwege sind einfach grandiose Radrouten, topfeben oder sanft steigend, autofrei und dank der vielen Schleusen, über 200 Stück an diesem hier, immer auch abwechslungsreich.

Am Fluss Erdre radele ich nordwärts, um schließlich in nordwestliche Richtung abzuzweigen. Der Atlantik ist passée. Ich befinde mich in einer völlig anderen Gegend und mit dem Dialekt scheint hier auch einiges anders zu sein. Mit meinem brachialen Minimalfranzösisch versteht man mich zwar wohl, denn mir wird immer geantwortet, aber ich verstehe nicht, was mir die Menschen antworten. Schlichtweg dämmert mir, ich bin im Bayern Frankreichs gelandet. Die Ortsnamen sind lustig: La Caussée le Clos de la Sapinière – die geschlossene Straße des Tännleins? Vielleicht. Egal, ich mag fremde Ortsnamen und wenn mir langweilig ist auf dem Radel, dann lasse ich mir die Worte im Hirn zergehen und mache eine eigene kleine Welt daraus. Durch Le Lavoir, sagen wir einmal das Waschbecken, radele ich nach La Basse Ravillière, grob übersetzt, die niedrige Verwüstung oder die niedrige Begeisterung … der Translator aus dem Internet kommt mit dem Namen an seine Grenzen und spuckt Randomtranslations aus. Man muss es ja nicht verstehen, um sich am Wortklang zu erfreuen.

Kanalradeln kenne ich vom heimischen Saarkohlekanal. Reines Wohlfühlradeln auf zwar schmaler, aber gut geteerter Strecke. Ab und zu sind Verbotsschilder auf den Weg gemalt, dass man nicht schneller als 20 fahren darf. Was mir auch nicht allzu schwer fällt bei meinem Gepäck und dem Gegenwind. Zwischen 13 und 18 Kilometern schaffe ich pro Stunde und hangele mich von Picknick-Bank zu Picknick-Bank. Bei einem größeren Rastplatz auf einer Wiese mache ich Mittagspause, esse mein Éclair und das Pizzastück, das ich in der Boulangerie in Sucé -sur-Erdre gekauft habe. Koche Kaffee. Trinke ihn. Schlafe trotzdem ein in der Sonne auf dem Bänklein. Erwache im Nieselregen. Das Wetter wechselt in dieser Gegend von Stunde zu Stunde. Das ist schlecht. Das ist gut. Je nachdem wie es wechselt. Das Gutes-Wetter-böses-Wetter-Spiel.

Schließlich quartiere ich mich auf dem Campingplatz in Guenrouet ein. Fast direkt an der Radelroute gelegen. Ich stelle fest: Die Preise sind akzeptabel und endlich taucht man als Wesen in den Computersystemen auf. Es würde mich nicht wundern, wenn es den Campertyp Vélodyssée-Radler höchst offiziell als Menüpunkt in der Fakturierungssoftware der Campingplätze gäbe. Mit mir sind noch zwei Deutsche auf dem Platz, die die Route in die entgegengesetzte Richtung radeln.

Klaus und Antje berichten über den Streckenabschnitt zwischen Plessé, Guenrouet und Nantes in diesem Blogartikel aus dem Jahr 2017. Mit tollen Bildern von Châteaus und Land und Schleusen.

Ein formgebendes Element, das vielfachen Einsatz beim Bau findet | #radlantix

Das muss mir erst mal einer nachmachen: Auf der Suche nach einem mechanischen Steampunk-Elefanten über Aristide Briand, Willy Brandt und gevoûtete Balkenbrücken in den schmalen Kuhlen der Flure eines Krankenhauses zu landen und über Staub, Dreck und leichte Reinigbarkeit zu sinnieren!

Es ist nicht unbedingt schwer, ein Europenner-Zeltlager sauber zu halten. Wenn du dein Zelt zusammenlegst am Morgen nach einer weiteren Campingnacht auf endloser Reise von Wo nach Wo, musst du eigentlich nur den Reißverschluss des Eingangs bis zur Gänze öffnen und den Fetzen Stoff gut ausschütteln, bis alle Krümel draußen auf der Zeltwiese liegen. Keine Voûte von Nöten. Zum Glück.

Ich bin träge am gestrigen Tag und ich hatte ja schon ins Auge gefasst, einen weiteren 25 Euro teuren Tag auf dem Stadtcampingplatz zu bleiben, um mir die ehemalige Hauptstadt der Bretagne anzuschauen. Meine Vorreisenden, Antje und Klaus berichten in ihrem Blog des Jahres 2017 über einen Kunstrundweg durch Nantes, auf dem sie zahlreiche Straßenkunstwerke zu sehen bekamen, was mich magisch anzog. Dem Kanalweg am Flüsschen Erdre folge ich fast fünf Kilometer abwärts, stadteinwärts Richtung Loire. Bilde mir ein, dass ich unweigerlich irgendwelchen touristischen Rundwegschildern begegnen werde, denen ich einfach folgen und mich treiben lassen kann, wie so ein in den Fluss gefallener Typ in einem hohen Sommer. Das kühle Nass genießend und die Stadtlandschaft vorbei ziehen lassend. Aber Stadt ist Irrtum. Stadt ist Ungewissheit. Stadt ist Gefahr, hin und wieder.

Wenn ich nur an die Durchquerung von London denke während der Radelrunde um die Nordsee. Gewarnt zum Glück durch seltsame Begegnungen mit zehn zwölf jungen Kerlen irgendwo in den Docks, die mich ansprachen und versuchten, mich zu stoppen. Ich weiß nicht, ob sie nett gewesen wären, vermutlich nicht. Rücksichtslos setzte ich meine Tour auf dem Nordseeküstenradweg fort, ohne zu stoppen. Die Tour zurück ins Zentrum von Nantes ist ähnlich spießrutenläufig. Irgendwo lösen sich ein paar Leute von einer Parkbank, auf der sie lungernd in den Tag lebten und kommen auf mich zu und quatschen mich schon von weitem an, ich solle anhalten, nicht sehr freundlich, so dass ich ordentlich in die Pedale trete und das Weite suche. Einmal mehr entronnen.

Es sind komplizierte Situationen, die man in großen Städten erlebt. Ich war immer ängstlich und unfreundlich genug, nicht anzuhalten, sei es in Genf, London, Barcelona oder wo auch immer ich radelte und ich denke, es war gut, unfreundlich zu sein und sich nicht einzulassen. Ja, manchmal ist es wichtig, nicht nett zu sein.

Natürlich kann ich nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich gestoppt hätte in London, Barcelona, Genf oder nun hier in Nantes. Hätte ich mich mit den netten Passantinnen und Passanten unterhalten? Ich weiß es nicht. Eins ist klar: Als Tourist ist man immer auch Melkkuh. Legal und einwilligend bei all den Tandlern, die dir irgendwelche Souvenirs andrehen wollen, wie unfreiwillig und als Opfer bei allfälligen Kleinkriminellen, die es in jeder Stadt gibt.

Zwischen der Aristide-Briand Brücke und der Willy Brandt-Brücke mündet der Erdre in die Loire. Hier endet der Kanal von Brest nach Nantes, dem ich die nächsten Tage durch die Bretagne folgen werde auf meiner Vélodyssée.

Ich bin im Zentrum von Nantes angelangt auf einer vier Kilometer langen Insel in der Loire. Der Bras de la Madeleine und der Bras de Pirmil umarmen die Insel sprichwörtlich als zwei Flussarme nördlich und südlich des Fleckchens.

Den Kunstpfad konnte ich bisher nicht finden. Aber mein Elefant ist allgegenwärtig auf braunen Tourismusschildern ausgewiesen. Eine filigrane, technische Zeichnung zeigt einen feingliedrigen, riesigen Elefanten, auf dessen Rücken zahlreiche Menschen sitzen. Ich folge den Schildern bis zu den ‚Machines de l’isle‚, den Maschinen der Insel.

Phantastisch! Das ehemalige Gelände der Traditionswerft von Dubigeon aus dem 18. Jahrhundert ist Herberge für … hmm, was ist das? Es ist eigentlich wie nicht von dieser Welt. Oder typisch französisch. Kreative Leute haben in den letzten zwanzig Jahren das Projekt  der ‚Maschinen der Insel‘ etabliert und zahlreiche mechanische, begeh- und befahrbare Kreaturen aus Stahl und Gelenken und edlen Hölzern und  Hydraulikschläuchen gebaut. Steampunk at it’s best. Jules Vernes trifft auf Leonardo da Vinci und die Werftvergangenheit von Nantes.

Auf dem bemerkenswerten Gelände der ehemaligen Werften begegnen sich die imaginären Welten von Jules Verne, das mechanische Universum von Leonardo da Vinci und die industrielle Vergangenheit der Stadt Nantes. (Webseite der Künstlergruppe La Machine).

Für 8,50 Euro kann ich mich einkaufen in den Trubel aus mechanischen Kreaturen. Mische mich mit anderen Touristen und den Künstlerinnen und Künstlern, die als MaschinistInnen untrennbar zum Bild gehören. Straßentheater trifft Technikmuseum. Verne und da Vinci tanzen mit moderner Kreativität. Und ich mittendrin.

Der Elefant ist das Herzstück der Ausstellung in Progress, an der seit fast zwanzig Jahren ununterbrochen gearbeitet wird. Fast fünfzig Tonnen wiegt die Maschine. Ein kleines Hochhaus von 12 Metern Höhe, acht Metern Breite und einer Länge von 21 Metern. Das zudem auf wundersame Weise durch das Werftgelände spazieren kann. Der Phantasmus ist aus Holz und Stahl und Kugellagern und Öl und Hydraulik und dem Ingenieurswissen und der Kreativität von Generationen gefertigt. Obendrein ziemlich umweltfreundlich mit Elektromotoren und vielen Pumpen getrieben, die die Gelenke in Bewegung setzen. Jules Vernes hätte seine wahre Freude an dem Koloss. Wie auf einem Flugplatz steigt man über eine Gangway in den Bauch des Tiers und kann sich in dem vor sich hin stapfenden Monstrum umschauen. Quasi in die Eingeweide sehen. Auf der Plattform auf dem Rücken hat man einen prima Ausblick über die vier Quadratkilometer große Île de Nantes und die beiden Flussarme Madeleine und Pirmil.

Jules Vernes ist der berühmte Sohn der Stadt. Der Science-Fiction-Visionär und – ich will es einnmal forsch formulieren – womöglich Vater des Steampunks, wurde 1828 in Nantes geboren. Er ist Autor zahlreicher phantastischer Geschichten aus der Geburtsstunde der Industrialisierung und Mechanisierung. Ein Museum auf dem ‚Festland‘ jenseits der Insel gibt Einblick in sein Leben und Werk.

Was für ein bombastischer Reisetag! Warum er in der schönen, runden Kuhle eines leicht zu reinigenden Krankenhausflures endet, will ich nicht verheimlichen. Natürlich war ich neugierig, warum eine der vielen Brücken, die die Nantes-Insel mit den beiden Flussufern verbindet, Willi-Brandt-Brücke heißt. Weshalb ich das Internet ausspionierte, nichts Konkretes zwar fand: Ob zum Beispiel Willy und Aristide, sein Brückennachbar, einst Freunde waren? Nein nein, das kann eigentlich nicht sein. Aristide Briand starb ja schon 1932. Wie auch immer. Über Bauingenieurs-Geheimwissen und die bauliche Konstruktion der Pont Willy Brandt als gevoûtete Balkenbrücke hangelte ich mich durch zahlreiche  Webseiten zum französischen Begriff la Voûte, was im Grunde etwa mit Rundung oder Bogen oder Hohlkehle übersetzt werden kann. Also ein formgebendes Element, das vielfachen Einsatz beim Bau findet. Unter anderem eben auch auf Krankenhausfluren, wo die harten Kanten des Fußbodens durch Voûtes gebrochen werden, damit sich kein Dreck in den Ecken sammelt.

Um ein wûchtiges Nah-Elefanten-Erlebnis reicher und dem Wissen um das Geheimnis der la Voûte, radele ich an diesem gestrigen 51. Reisetag erschöpft zurück zu meinem Zeltplatz. Zum Abendessen gibt es treffender Weise Kochbananen in Sojasoße. Ich finde, das bin ich der Voûte schuldig, die ja im Prinzip auch nur eine Art Antibanane ist, so vong Form her.

Ein Elefant im Blogladen | #radlantix

Wässriges Land auf Meeresniveau. Wenn sich denn so etwas wie ein Meeresniveau überhaupt definieren lässt hier im Bereich der Tide. Der Wasserspiegel schwankt um mehrere Meter. Je nachdem, ob die Küste von Inseln kanalisiert wird oder nicht, ob ein Fluss in den Ozean drängt oder ob das Wasser auf langem Strand genügend Auslauf hat. Abwechslungsreich gestaltet sich die Küste, unberechenbar.

Die vorige Nacht stand das Zelt nicht sehr weit weg vom Flugzeug. Der Campingplatz in Saint-Michel-Chef-Chef ist, wie sein Beiname, ‚Insolite‘, sagt, ziemlich ungewöhnlich. Neben dem normalen Angebot kleiner Bungalows und stationärer Wohnwagen gibt es auch einige Besonderheiten, die man eher als Ausstellungsstücke in einem Technikmuseum vermuten würde, denn als Behausungen für Touristen auf einem atlantischen Campingplatz. Besagter Flieger hat vier Schlafplätze und eine winzige Küche im abgeschnittenen, vorderen Teil eines Verkehrsflugzeugs. Die Flügel sind nicht installiert. Das Klo des ‚Avion Grumann‘ befindet sich in der Pilotenkanzel. Man kann, statt lesend oder sonstwie sich die Zeit auf dem Örtchen verduldend, durchs Cockpitfenster schauen und mit den original Steuerknüppeln spielen und alle möglichen, zwar blindgelegten, aber dennoch betätigbaren Schalter bewegen.

Es gibt Seilbahngondeln auf dem Platz und Westernwagen und es gibt einen 50 Tonnen schweren Bahnwagon. Den hat der Besitzer des Platzes vor Jahren aus Paris hierher transportieren lassen und selbst liebevoll renoviert. Der Wagon ist groß genug, dass eine halbe Schulklasse darin wohnen kann. Oder eine viertel.

Weiterhin Windstille, was mich fast ein bisschen traurig stimmt, denn am gestrigen Tag radele ich vorwiegend ostwärts. Erst durch Saint-Michel-Chef-Chef (bester Ortsname ever; eigentlich kann man ihn gar nicht oft genug schreiben :-)) bis zum Schlund der Loire und schließlich flussaufwärts bis zur Brücke bei Nantes. Das wäre bei der üblichen Westwindlage eine wunderbare Rückenwindrutsche geworden.

Die zehn Kilometer bis zum Fluss, bis zur hohen Brücke bei Saint Nazaire fresse ich wie nix und stehe gegen halb elf an der Mündung. Aufkommende Flut. Brillianter Blick auf die geschwungene, hohe Autobahnbrücke. Am Strand verläuft sich das Publikum. Es ist kein expliziter Wohlfühlbadestrand hier in der Mündungsregion. Ein bisschen fühle ich mich an die Gegend bei der Rheinmündung in Hoek van Holland erinnert. Industrie im Duett mit Naturidyll, Dünen und Sandstrand, das ganze umspielt vom Malmen der See. Und: eine gigantische Schlange glänzt im Watt. Oder vielmehr ein Skelett. Oder noch besser gesagt ein Kunstwerk aus Aluminium, das sich da schlängelt. Ein bisschen erinnert es an das Bild eines alten chinesischen Drachens. Kein Wunder, denn der Künstler, Huang Yong Ping, hat chinesische Wurzeln. 2012 schuf er das fast achtzig Meter lange Monstrum im Rahmen eines Kunstfestivals. Hier an der Loire-Mündung werden regelmäßig neue Großplastiken installiert. Ganz ähnlich wie das Kunstfestival in Örebro, das ich gemeinsam mit Frau SoSo 2015 besuchte. Es ist schon faszinierend, wenn das Ungewöhnliche Einlass findet in die Normalität des Alltagsgeschäfts. Wenn der Blick verwirrt wird, die Augen abgelenkt, das Hirn sich mit Abstrusem beschäftigen darf, statt den Ozeanriesen beim Vorbeifahren zuzusehen oder den Frachtschiffen auf dem Weg in den Loire-Schlund. Oder im Fall von Örebro, damals: Der arglose Stadtwanderer steht verdutzt vor allmöglichen kreativen Leckerbissen, die sich vom Rathaus durch die Fußgängerzone bis in den Wassergraben vor dem Schloss ziehen. Herrlich die fliegenden Fahrräder auf dem Kanal, die wie Teufelsradeler wirkten mit dämonischen Radlerpuppen. Und die Rubberduck aus alten Autoreifen, die noch immer in irgendeinem Brunnen Örebros vor sich hin quietscheentet.

Nicht, dass es nicht auch ohne Kunst ginge. Schifffahrt ist grundsätzlich spannend. Und Stadtlandschaft ist dem Konsumwilligen stets Labsal.

Gen Nantes zu auf verkehrsarmen Wegen radelt man unter Hochspannungsleitungen vorbei an Umspannwerken, aber es gibt auch wunderbare Naturgegenden. Flussauen und Felder im Wechsel. Aber mehr und mehr wuchert die Stadt.

Nantes ist eine der zehn größten Agglomerationen Frankreichs. Eine knappe halbe Million Menschen lebt um die Flussmündung der Loire und des Erdre  rings um Nantes und Saint Nazaire. Das heißt: viel Verkehr, Bahnlinien, Trams, Busse und irgendwo in den Nischen der Mobilität auch ein Fetzen Vélodyssée. Feinstes Engelshaar der Mobilität. Unauffällig. Der Radweg ist, nunja, passabel, würde ich sagen. Fast fühle ich mich an die nahezu perfekt beschilderte Durchquerung der Stadt Valence auf der Via Rhôna erinnert. Ca slame pour moi. Teils auf Straßen, oft abseits ihrer und wenn man sich konzentriert und keines der Schilder übersieht, kommt man ohne Karte rein in die Stadt. Ob man ebenso leicht wieder rauskommt, werde ich noch sehen.

Ich mietete mich auf dem örtlichen Campingplatz ein, fast mitten in der Stadt. Erdnahes Dasein hat mich wieder. Zeltend. Bodennah. Nur eine zwei Zentimeter dicke Isomatte trennt mich von der abgenutzten Platzwiese. 25 Euro pro Nacht. Nicht gerade billig, aber hey, vielleicht bleibe ich heute hier. Sitze vorm Zelt, schreibe diese Zeilen und erinnere mich an meine Recherche für die Vélodyssée im Jahr 2017. Das Jahr, in dem ich eigentlich hätte starten wollen, wenn mein Vater nicht im Sterben gelegen hätte. Mann, Mann, Mann, lange Zeit. Ich hatte, glaube ich, die Gegend der Bretagne grob im Web durchgeschaut und mir allmögliche Sehenswürdigkeiten markiert, Wikipediaartikel und Googlemaps-Einträge von Kommerziellem. Informationen, die aber im Chaos der eigenen Festplatte verloren gegangen sind. In diesem Blog finde ich noch eine Notiz zu einem sogenannten Wackelstein, der eine knappe Woche weiter nordwärts auf mich zukommt. Und über das Nantes des Jahres 2017 weiß ich, dass es irgendwo in der Stadt eine Art Vergnügungspark geben muss, in dem mechanische Zootiere herumlaufen. Ein riesiger Elefant aus Stahl und Zahnrädern und Gelenken, auf dem man als zahlender Tourist Platz nehmen kann … geradezu unheimlich, dieses Bild aus meiner Erinnerung zu kramen. Ich sollte mich auf die Suche nach dem Tier machen. Der Campingplatz ist nicht so voll und für einen Stadtcamping ziemlich ruhig. Ich brauche Ruhe. Stillstand. Ich bin müde. Unendlich müde. Ich habe den Kreis geschlossen heute. Von der Loire zur Loire radelnd. Ich könnte die Tour auch beenden … nachdenken, Junge, nachdenken … und die Stadt nach mechanischen Elefanten durchsuchen!

Le Pornic Chef-Chef made my day | #radlantix

Sonntag, 3. Mai. Camping Insolite le Hautevillage.

Ein Kreis schließt sich. Ich könnte die Loire wiedersehen. Mit 1004 Kilometern ist sie Frankreichs längster Fluss, der von der Quelle bis zur Mündung im Land fließt. Wie lange ist das jetzt her, dass ich die obere Loire hinauf keuchte ins Zentralmassiv? Drüben im anderen Blog berichtete ich auf dem Weg südwärts darüber. Eine andere Zeit. Eine andere Gegend. Ein anderes Leben. Flussaufwärtsleben. Leben bis zur Quelle. Fast. Und über unzählige Berge und anderen Flüssen folgend, jeden nur erdenklichen Krieg der vergangenen fünfhundert Jahre mit im Gepäck … was für ein schweres Blogwerk doch das Irgendlink-Blog – dieses Zweibrücken-Andorra 2020 – war im Vergleich zu diesem  meinem neuen, Meerschaum umspülten atlantischen, radlantischen Spaziergang.

Das Frühstück in der Escale de Bouin, Chez mon Oncle war grandios. Fulminantes Buffet. Frische Croissants, Pain au Chocolat, Joghurt, Müsli, Kaffee zur Nöche, Orangenmarmelade. Fast hätte ich mich eine zweite Nacht eingemietet. Doch die Vernunft siegte. Und der ächzende Geldbeutel.

Sonntag. Erhöhter Strandtourismus. Proppenvolle Landstraßen, doch die Véloroute hält stand, wirklich gut gemachter Fernweg, oft auf eigenen Fahrradtrassen oder kaum befahrenen Nebenstrecken und Feldwegen und Kanalwegen. Das ist mein Frankreich!

Über Bourgneuf und Les Moutiers nach La Bernerie. Allesamt Orte mit dem Zusatz en Retz, also Bourgneuf-en-Retz usw.. Ich durchradele also die Länder des Retz, les Pays de Retz. Die Gegend ist steiniger geworden. Das ist mir schon auf der Île de Noirmoutier aufgefallen und bei den von Felsen zu Sandbuchten geknechteten Sandstränden nördlich von Saint Gilles. Endlich etwas Abwechslung. In der Retz gibt es zahlreiche steinzeitliche Dolmen.

Über Pornic verläuft die Route Bleue (deutsch „Blaue Route“), an der elf bedeutende prähistorische Megalithmonumente liegen. (Wiki Pays de Retz).

Schmunzelnd wegen des Ortsnamens durchquere ich Pornic. Die Küste ist rauer. Die Strandlinie nicht gar so verhotelisiert wie weiter südlich, etwa in Les Sables d’Olonne. Fast fühle ich mich an die schwedische Schärenküste erinnert, wären da nicht die Gezeiten und wären da draußen auf dem Meer mehr Felsen und das Licht könnte auch etwas bläulicher sein, finde ich. Egal.

Ein Wohlfühlradeltag fast ohne Wind unter heißer Sonne. Die Loire ruft. Ich bin unruhig, fast nervös, gönne mir kaum Pausen, unterzuckere gegen 17 Uhr irgendwo beim Abzweig eines Sandwegs von der Véloroute. Schokolade aus der Fronttasche, belegt mit Traubenzucker. Trinkflasche in einem Zug geleert und weiter durch seichtes Waldgebiet, wohl wissend, dass das keinen Sinn ergibt. Du kannst es nicht erzwingen. Du darfst es nicht erzwingen. Nichts ist destruktiver als unbedingt vorankommen wollen. Nichts bremst mehr, als sich wo sehen, wo man nicht sein kann, weil die Zeit nicht reif ist dafür.

Und was erwartet dich schon, wenn du es bis zur Loire schaffst? Flussland. Breit gewordene Lieblichkeit, die sich 1004 Kilometer weit ihren Weg aus dem Zentralmassiv bis hierher zum Ozean gebahnt hat. Da wird nichts mehr übrig sein von der Wildheit der Schluchten zwischen Roanne und Le Puy. Schloss Essalois kommt mir in den Sinn und all die anderen alten Burgen, die teilweise in den Stauseen der hohen Loire versunken sind.

Zehn Kilometer noch bis zur Brücke nach Saint Nazaire, sagt das  GPS. Luftlinie. Ein Katzensprung und der Kreis schlösse sich, aber ich bin müde und ich weiß, dass in solch gierigen Momenten nur eins hilft: innehalten. Da kommt mir das Hinweisschild zum Campingplatz gerade recht. Ein ‚Camping Insolite‘. Ein ungewöhnlicher Campingplatz, wenn man es wörtlich übersetzt. Nahe der Ortschaft Saint-Michel-Chef-Chef. Ha! Pornic, Chef-Chef. Was kommt als nächstes? Die Ortsnamen der Gegend sind einfach grandios. Gegen 20 Uhr quartiere ich mich ein auf dem ungewöhnlichen Campingplatz. Ich könnte gegen Aufpreis auch in einem Flugzeug übernachten oder in einem alten Tramwagen aus Nantes, aber das Zelt genügt vollauf an diesem windstillen 48. Reisetag.

Die Inseln die Meer wären. Das Städtchen, das Inseln wäre. Der Mensch, der mehr und mehr Meer wird. | #radlantix

Samstag, 2. Mai. Saint-Gilles-Croix-de-Vie bis Bouin.

Mehr Meer! Wenn ich so weiter mache, verwandele ich mich noch in einen Ozean, getreu der Molekültheorie, die in Flann O’Briens Roman ‚Der dritte Polizist‘ propagiert wird: Je intensiveren Kontakt du mit etwas hast, desto mehr Atome dieses Etwas sammeln sich in dir und desto mehr deiner Atome wandern in das Etwas. Menschen, die viel Fahrrad fahren, werden demnach irgendwann zu Fahrrädern (so beschrieben im dritten Polizist). Menschen, die am Ozean unterwegs sind, werden mit jedem Tag ozeanischer …

Spät breche ich auf. Die Rezeption auf dem Camping des Cypres ist aus unerfindlichen Gründen an diesem Morgen geschlossen. Bei der Telefonnummer, die an der Tür hängt, geht niemand ran. Und da ich meinen Pufferakku zwecks nächtlichen Aufladens noch in der Rezeption liegen habe, bleibt mir nichts übrig, als zu warten. Gegen elf kommt die Rezeptionistin endlich, entschuldigt sich tausendmal und macht dabei ein betrübtes Gesicht. Ihr Mann ist erkrankt, so viel verstehe ich und sie musste ihn ins Krankenhaus bringen. Herrje. Ich hoffe, das wird wieder und wünsche ihr alles Gute.

Dann zurück zur Vélodyssée-Route, gut beschildert, schon bald in Saint Gilles. Oder vielmehr Saint-Gilles-Croix-de-Vie. Die Gemeinde wurde nämlich aus mehreren anderen Gemeinden vor einigen Jahren zu einer Verbandsgemeinde zusammengefasst. Und mit der Zusammenfassung entstand auch gleich ein neuer Typ Gemeindebewohner: die Gillocruciens.

Der Ort entstand aus der Fusion der bis 1967 selbständigen Gemeinden Saint-Gilles-sur-Vie und Croix-de-Vie. Die Einwohner nennt man seither Gillocruciens. (siehe oben verlinkten Wikiartikel)

Irgendwie charmant. Wie auch das Städtchen selbst. Verschlafene Geschäftigkeit an gigantischem Strand. Ich kann mir vorstellen, dass das Radeln hier in der Hochsaison im Juli und August ein harter Spießrutenlauf ist. Zwischen Sonnenhungrigen und Feiervolk und arglos dahin wandelnden Strandgängern mit SOLCHEN Badetaschen und spitzen Sonnenschirmen, Paddeln, Plantschentchen und Schlauchbooten.

Raus aus der Stadt, rein in die nächste Stadt, Saint Hilliaire und vorbei am Feu de Grosse Terre. Hatte ich erwähnt, dass die Atlantikküste in Frankreich ein einziges großes Verbinde-die-Leuchttürme-Spiel ist? Oder verbinde die Nazibunker? Jaja, ich übertreibe. Jedenfalls kommen Leuchtturmfans hier voll auf ihre Kosten. Der Feu du Grosse Terre ist ein schlichter Leuchtturm von der Stange, nur 17 Meter hoch. Dennoch schön anzusehen.

In La Barre-de-Monts verlasse ich die Vélodyssée und mache einen Abstecher zur Île der Noirmoutier. D 38. Sundbrücke. Aufwärts schwitzend bis zum Scheitelpunkt hoch über dem Meer. Der Radweg ist schmal, von einer Leitplanke zur Straße abgegrenzt. Immer wenn mir jemand auf meiner Seite entgegen kommt, muss ich mich am Geländer festhalten und warten, bis die oft recht forschen Mountainbikeleute an mir vorbei sind. Erst als es wieder abwärts geht, verstehe ich, warum sie alle auf meiner Seite fahren und nicht drüben auf dem anderen Radweg. Der ist nämlich von einer Baustelle blockiert. Gut, dass ich so gelassen bin. Gut, dass ich nicht geschimpft habe.

Mein Plan, die Insel über eine andere Straße zu verlassen und zurück zur Radroute zu kehren, geht irgendwie auf. Irgendwie auch nicht. Die Passage du Gois entpuppt sich als Gezeitenstraße. Just gegen 14 Uhr, als ich am Einstieg eintreffe, herrscht Hochwasser. Genug Zeit also, um den Tidenhub bis ins Feinste zu studieren. Auf einem Aussichtspunkt mache ich es mir im Windschatten eines Mäuerchens gemütlich, wohl wissend, dass es bis zum nächsten Niedrigwasser nur noch sechs Stunden sind. Hier übrigens ist das Problem mit Ebbe und Flut auf großen Schildern erklärt (beim napoleonischen Fort Enet vor ein paar Tagen gab es keine Schilder) und man warnt die Durchfahrenden und es gibt sogar eine Zeitanzeige. Trotzdem versinkt hin und wieder mal einer in den Fluten. Gegen Abend, als die ersten Autos die Passage nehmen, schwinge ich mich wieder in den Sattel. Die Strecke führt etwa vier Kilometer weit durchs Watt. Teils geteert, teils mit quadratischen Pflastersteinen belegt, die erstaunlich schnell abtrocknen in der Abendsonne. Alle paarhundert Meter erhebt sich ein kleiner Turm, den man auf einer Leiter erklimmen kann. Das sind also die als Schutzhütten in der Open Cycle Map verzeichneten Objekte. Ein paar aufgeschichtete Wackersteine, darauf eine Stahlkonstruktion und Leitern zum Hochklettern. Gut zu wissen, sollte man mit dem Radel einmal liegen bleiben. Schon kommt mir die Idee, eine Tide lang auf einem solchen Turm zu verbringen. Zwecks vollständiger Verozeanung à la Flann O’Brien.

Aber ich bin nicht verrückt. Für die Nacht habe ich mir ein Zimmer in Bouin reserviert. Nennt mich sentimental, ich habs getan, weil meine Vorreisenden, Klaus und Antje auf ihrer Vélodyssée im Jahr 2017 auch in diesem Ort abgestiegen sind. Und, naja, das Zelten im ewigen Wind geht mir auch langsam an die Nerven. Weshalb ein Freikaufen nötig ist. Das Zimmer ‚Chez mon Oncle‘ in der Escale a Bouin kostet 60 Euro inklusive Frühstück. Nicht gerade billig (bzw. für diese touristische Gegend eigentlich ein Schnäppchen), und hey, der Name allein ist doch schon köstlich, bei meim Onkel :-). Manchmal darf man sich auch etwas gönnen.

Noch etwas mehr Meer-Fakten? Bouin lag ursprünglich auf einer Insel und war von Watt umgeben, den Tiden ausgeliefert, bis das Land trocken gelegt wurde. Und die Île de Noirmoutier liegt größtenteils unterhalb des Meeresspiegels. Wir haben es also in diesem Blogartikel mit einem Menschen zu tun, der mehr und mehr Meer wird, einer Insel, die Meeresgrund wäre und einem Städtchen, das eigentlich Insel wäre. Alles klar?