Wieder ein Tag älter und gut achtzig Kilometer weiter nordwärts auf der Vélodyssée habe ich mich gestern auf dem Campingplatz von Huelgoat einquartiert.
Die Nacht beim Croix du Breuil blieb ruhig, abgesehen von ein paar Wildtieren, die durchs Gehölz raschelten, aber ich konnte abends die Mystik-Hysterien zum Glück ad acta legen und schlief durch bis zur Dämmerung. Kein Nebel, aber bewölkt. Nieselregen lässt gegen zehn Uhr nach und ich kam in Saint Aignan wieder auf die Kanalradoute.
Ich glaube, einen besser ausgeschilderten und spannenderen Fernradweg habe ich noch nicht erlebt. Die Vélodyssée in ihrer Gesamtheit ist ein echtes Zuckerstückchen, aber der Abschnitt seit Nantes lässt Fahrradfernfahrträume wahr werden. Fast ausschließlich fern der Straße führt die Strecke auf den alten Treidelpfaden. Jeder Ort hat einen bezahlbaren Campingplatz. Reife Boulangerien hängen an den Bäumen und gebratene Supermärkte fliegen einem in den offenen Mund … ich scherze … ach was, es ist die Euphorie. War der südliche Vélodyssée-Abschnitt noch durchsetzt mit den Störgeräuschen atlantischen Strandtourismus‘ (recht voll und recht teuer), ist der Weg durch die Bretagne uns Tourenradlern wie auf den Leib geschnitten.
Beim Stausee Guerlédan führt die Route abseits des Kanals für einige Kilometer über ruhige Straßen und einen Bahntrassenradweg, um vor Carhaix zum Kanal zurückzukehren. Ab Carhaix folge ich einer ehemaligen Bahntrasse. Die Gegend ist hügliger. Landwirtschaft und Wälder im Wechsel, alte Chateaus aus grauen Steinen und in jedem Dorf eine wuchtige, reichlich verzierte Kirche. Bizarre Bauwerke von großer Schönheit und auch die kleinen Häuschen aus den Bruchsteinen der Felsen dieser Gegend sind schön anzusehen.
Ich befinde mich in einer geologisch uralten Gegend auf den Überresten des Armorikanischen Massivs. Die Gesteine, die hier zu Tage treten, sind älter als jedes Leben. Überbleibsel aus der vorkambrischen Zeit, wenn ich dem als überarbeitungsbedürftig gekennzeichneten Wikipediaartikel glauben schenken darf.
Aber was interessiert es schon den Schöngegend-Radler, was vor einer halben Milliarde Jahren hier geschehen ist. Ich erfreue mich an der abwechslungsreichen Gegend. Neben den von Menschen erzeugten Sehenswürdigkeiten und Landschaftsgestaltungen, gibt es zahlreiche Höhlen und Felsen, Schluchten und kleine Bäche. Urwüchsige Bäume und – hatte ich es schon erwähnt – Kirchen, Kirchen Kirchen und Mühlen, Mühlen, Mühlen.
Huelgoat war als ein Muss auf meiner Tour eingeplant. Schon von Anfang an, als ich mir im Jahr 2017 die Internetseiten der Gegend anschaute. Der Roche Tremblante war ausschlaggebend für den kleinen Abzweig von der Vélodyssée. Haltet mich für verspielt, aber ich finde Kleinodien wie den 137 Tonnen schweren Felsen einfach faszinierend. Nicht, dass es daheim in der Pfalz nicht genug Felsen gäbe, aber der Name des Roches Tremblante ist Programm: ein Wackelstein. Ein einzelner, kräftiger Mensch kann das Ungetüm tatsächlich bewegen, wie man in diesem Video sehen kann.
Somit war meine erste Amtshandlung, nachdem ich gestern Abend das Zelt aufgebaut hatte, ein Feierabendspaziergang zum Felsen. Man soll sich ja entspannen nach dem Radafahren und Dehnübungen und Gymnastik machen. Sozusagen Rückengymnastik auf die bretonische Art.
Nun vor dem Zelt auf der Picknickbank in den kühlen Morgen schreibend. Ich werde einen Tag hierbleiben und eine Runde durch die Dörfer und zu den Kirchen drehen. Blogkollege Herr Ackerbau hat mir nämlich den Blick geschärft für die teils skurrile bretonische Kirchenkunst und die tausend Zusatzheiligen die man hier in der Gegend kennt.
Ich hätte zu gern ein Bild von dir gemacht, wie du den Stein wackelst. Ob wir ihn wohl in einem andern leben zu sehen bekommen?
Ich könnte dich abholen, dir entgegenfahren? 😉
Pass auf, dass du nicht dem Ankou begegnest!