Von Sackgassenbetten und bretonischen Frühstücksorakeln | #radlantix

Genau betrachtet ist es nicht das erste Mal während dieser Reise, dass es mich hinaustreibt auf eine Landzunge. Hüte dich vor Sackgassen, vor Wegen, die auf Klippen zuführen, du Lemming, hüte dich vor Endendem, denn Endendes trägst du in dir selbst genug.

Inseln machen mir Angst. Große, weite, bewuchsfreie Landschaften machten mir Jahrzehnte des Reisens zu schaffen. Nur mit sehr beklommenem Gefühl konnte ich sie durchqueren. Nun sind es die Landzungen, die im unendlichen Atlantik enden. Noch vor anderthalb Wochen saß ich eine halbe Nacht fest beim Fort Énet, ein Opfer der Tücken der Tide.

Ozeanische Luft durch gekipptes Fenster. Die französische Bettmachmethode ist gewöhnungsbedürftig. In der Nacht habe ich mit der Bettdecke gekämpft, die ringsum unter die Matratze gestopft ist und in die man von oben hinein schlüpfen muss wie in eine Schublade. Mein Dormitorium, eine Sackgasse. Ha! Dabei hätte ich abends noch die Möglichkeit gehabt, zu intervenieren, als Monique, meine Vermieterin vor meinen Augen geschwind das Zimmerchen vorbereitete, sprich das Bett in französischer Manier bezog. Aber sie legte eine derartige Sorgfalt an den Tag, dass ich es nicht wagte, meine teutotischen Wühlbettgewohnheiten zu äußern. Ich glaube, in Frankreich gibt es einen Begriff dafür, wie die Menschen im Norden ihre Betten beziehen, erinnere mich leider nicht, aber für Franzosen ist es so ungewohnt, der Bettdecke alle Freiheit der Welt zu gönnen und sie einfach so gefaltet obenauf zu legen, wie es für uns ungewohnt ist, sie in drei Schichten mit Betttuch und Decke und noch einem Betttuch unter die Matratze zu klemmen.

Draußen nur Dunst. Der Tag soll schön werden. Der Ostwind, der mich hierher verbannt hat soll abflauen und drehen. Das Frühstück gerät geradezu englisch: Gebratenes, Spiegelei, Bohnen, Pilze, Speck, dazu Orangensaft. Man merkt, dass man hier auf Touristen von der Insel eingestellt ist und stellt zur Wahl, ob man lieber kontinental oder britisch frühstücken möchte. Herrlich. Ist das vielleicht ein Fingerzeig, dass ich die Reise doch nicht in Roscoff beenden soll? Die Vélodyssée ist ja nur der französische Abschnitt des Atlantik-Radwegs, der vom Nordkap an die Algarve führt. 1200 Kilometer von vielleicht Fünf-, Sechs- oder Siebentausend. Ha!, Herr Irgendlink, Kunstbübchen, Europenner, das sieht dir ähnlich, das bretonische Frühstücksorakel heranzuziehen für das Weiterführen deiner Reise.

Gefüllt mit Ei und Speck und Bohnen und Orangensaft gehts los, zurück nach Huelgoat, wo mein Zelt auf dem Campingplatz – hoffentlich nicht vom Sturm niedergerissen wurde. Zelte ohne Zeltende sind sturmanfälliger als mit Zeltenden. Zeltende ohne umstürmtem Zelt mit Hotelzimmer schlafen besser als Zeltende in umstürmten Zelten (auch wenn sie in französischen Sackgassenbetten schlafen müssen) :-).

Durchtriebener, tollkühner, hassardierender Herr Irgendlink, Naseweis schlägt natürlich erst einmal die falsche Richtung ein. Die Logik ist klar: Noch bläst der Wind streng aus Osten, soll aber gegen Mittag drehen und dann kann ich ja noch eben schnell nach Landerneau radeln, ein Baguette, ein Éclair und ein Stück Pizza kaufen und mir die Brückenhäuser anschauen, die mir Monique, meine Wirtin, als Sehenswürdigkeit empfohlen hat. Wie sie ohnehin von der Bucht, in die der Élorn mündet schwärmte, vom Meer, Höhlen, Klippen und Stränden. Hier komme ich nie wieder weg. Die Bretagne ist gar kein Landsend, keine Sackgasse, sie ist ein Labyrinth, in dem sich auf engstem Raum und in gewundenen Pfaden, eine hohe Zahl an Sehenswertem konzentriert. Werde ich je zurückfinden?

Die Brückenhäuser in Landerneau sind wirklich sehenswert. Schwere, aus Granit gebaute, mit Schiefer verkleidete klobige Kästen, die grazil einswerden mit der Brücke, die über ein rauschendes Wehr verläuft. Das Millau des Nordens, das Bad Kreuznach der Bretagne (beides Städte, wo ich ähnliche Bauten sah).

Gegen Mittag mache ich mich auf den Rückweg, will schließlich nicht noch eine weitere Nacht hier auf dem Zipfel verbringen und Gefahr laufen, für immer im Labyrinth allen Sehenswerten verloren zu gehen. Folge dem Élorn, der mit etwa 50 Kilometern ähnlich lang ist wie der heimische Schwarzbach. Schon habe ich eine Art Contwig durchquert, radele durch Stambach und Dellfeld immer weiter weiter weiter in einen imaginären Pfälzer Wald, verlasse das Tal beim Bois de Kerfaven, ahnend um all die Mythen, die darin versteckt sind. Aufwärts zum ehemaligen Armorikanischen Massiv et voilà, Camping am frühen Abend. Man hatte mich schon vermisst, aber zum Glück keine Rettungsaktion ausgelöst. Pizza zum Zelt. Rotwein. Im Wissen ums Labyrinth und dessen Unendlichkeit auf kleinstem Raum den Abend verbringen.

Die Möglichkeiten wie die Tour weitergeht, scheinen mir fast ebenso unendlich. Zu den üblichen drei Möglichkeiten, vorwärts, rückwärts und stehenbleiben gesellen sich an diesem Abend eine Unzahl abstrakter Chancen und Richtungen. Man könnte sagen, ich bin tatsächlich frei, nachdem ich zwei Tage mit dem Ankou, dem personifizierten Tod auf dem Gepäckträger unterwegs war.