Je suis mude | #radlantix

Je suis mude. Ich bin so müüüde. Stadt ist Mühsal. Stadt ist Spannung. Stadt ist Marter. Stadt ist lieb. Mir steckt der Nantes-Artwalk und die Maschine noch in den Knochen, als ich gestern das Zelt zusammen räume und alle Lebensmittel, den Kocher und die Klamotten wieder komprimiere und mich auf den Radweg der Vélodyssée schwinge, der quasi direkt vor der Haustür des Campings vorbei führt. Ab Nantes wendet sich der Atlantikradweg ab vom Ozean. Die Route folgt dem Canal de Nantes à Brest quer durchs Land.

Schneid dem Land den Zipfel ab. Und das kam so: Durch die britische Seeblockade zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Schiffsverkehr und der Transport von Waren und Menschen an Frankreichs Atlantikküste zunehmend erschwert. Weshalb man den Kanal durchs Landesinnere initiierte. Die Wasserstraße folgt den Betten von sieben Flüssen und quert in Redon einen achten Fluss. Die Vilaine.

Im Prinzip war die etwa 350 Kilometer lange künstliche Wasserstraße ein Flop. Nur verhältnismäßig selten wurde sie genutzt und jährlich kaum um die 50.000 Tonnen Waren darauf transportiert. Schon kurz nach der Eröffnung machte die Eisenbahn als günstigeres und schnelleres Transportmittel Konkurrenz. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs endete die Ära des Kanals als Transportweg und seit einigen Jahrzehnten dient das Bauwerk nur noch touristischen und sportlichen Zwecken: Kanu fahren, radeln, angeln und hausbooten.

Ich bin froh, dass es den Kanal gibt. Kanalradwege sind einfach grandiose Radrouten, topfeben oder sanft steigend, autofrei und dank der vielen Schleusen, über 200 Stück an diesem hier, immer auch abwechslungsreich.

Am Fluss Erdre radele ich nordwärts, um schließlich in nordwestliche Richtung abzuzweigen. Der Atlantik ist passée. Ich befinde mich in einer völlig anderen Gegend und mit dem Dialekt scheint hier auch einiges anders zu sein. Mit meinem brachialen Minimalfranzösisch versteht man mich zwar wohl, denn mir wird immer geantwortet, aber ich verstehe nicht, was mir die Menschen antworten. Schlichtweg dämmert mir, ich bin im Bayern Frankreichs gelandet. Die Ortsnamen sind lustig: La Caussée le Clos de la Sapinière – die geschlossene Straße des Tännleins? Vielleicht. Egal, ich mag fremde Ortsnamen und wenn mir langweilig ist auf dem Radel, dann lasse ich mir die Worte im Hirn zergehen und mache eine eigene kleine Welt daraus. Durch Le Lavoir, sagen wir einmal das Waschbecken, radele ich nach La Basse Ravillière, grob übersetzt, die niedrige Verwüstung oder die niedrige Begeisterung … der Translator aus dem Internet kommt mit dem Namen an seine Grenzen und spuckt Randomtranslations aus. Man muss es ja nicht verstehen, um sich am Wortklang zu erfreuen.

Kanalradeln kenne ich vom heimischen Saarkohlekanal. Reines Wohlfühlradeln auf zwar schmaler, aber gut geteerter Strecke. Ab und zu sind Verbotsschilder auf den Weg gemalt, dass man nicht schneller als 20 fahren darf. Was mir auch nicht allzu schwer fällt bei meinem Gepäck und dem Gegenwind. Zwischen 13 und 18 Kilometern schaffe ich pro Stunde und hangele mich von Picknick-Bank zu Picknick-Bank. Bei einem größeren Rastplatz auf einer Wiese mache ich Mittagspause, esse mein Éclair und das Pizzastück, das ich in der Boulangerie in Sucé -sur-Erdre gekauft habe. Koche Kaffee. Trinke ihn. Schlafe trotzdem ein in der Sonne auf dem Bänklein. Erwache im Nieselregen. Das Wetter wechselt in dieser Gegend von Stunde zu Stunde. Das ist schlecht. Das ist gut. Je nachdem wie es wechselt. Das Gutes-Wetter-böses-Wetter-Spiel.

Schließlich quartiere ich mich auf dem Campingplatz in Guenrouet ein. Fast direkt an der Radelroute gelegen. Ich stelle fest: Die Preise sind akzeptabel und endlich taucht man als Wesen in den Computersystemen auf. Es würde mich nicht wundern, wenn es den Campertyp Vélodyssée-Radler höchst offiziell als Menüpunkt in der Fakturierungssoftware der Campingplätze gäbe. Mit mir sind noch zwei Deutsche auf dem Platz, die die Route in die entgegengesetzte Richtung radeln.

Klaus und Antje berichten über den Streckenabschnitt zwischen Plessé, Guenrouet und Nantes in diesem Blogartikel aus dem Jahr 2017. Mit tollen Bildern von Châteaus und Land und Schleusen.

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